Wehreinwart ist die traditionelle und historische Bezeichnung der bereits im 16. Jahrhundert nachweisbaren Genossenschaft in der Wetschafts-Aue, deren gemeinschaftlich genutztes Bewässerungssystem die Bewirtschaftung der Wiesen im Augebiet ermöglichte. Gesteuert wird die Bewässerung der Wiesen über eine Reihe von Kanälen und Wehren, die jeweils aus einem steinernen, u-förmigen Rahmen (Steinschwelle sowie zwei Steinpfeiler) bestehen, an dem die weitere Holz-/Eisenkonstruktion befestigt ist und gegen den die Wehrbretter durch das Wasser gedrückt werden. Den Zufluss zu den Kanälen steuert das Wetschaftswehr rund 500 m südöstlich der Aumühle. Mitglieder des Einwarts waren traditionell die jeweiligen Pächter bzw. die bewirtschaftenden Bauern der Auwiesen aus Göttingen, Sarnau, Goßfelden und Unterrosphe. Die Auwiesen dienten vor allem dem Hüten von Vieh und der Heuernte, wobei zwischen Heu und Grummet unterschieden wurde (letzteres war das Heu aus dem Zweitschnitt). Außerdem wurde Rasen gestochen.
Das Wehreinwart wurde bereits 1846 in einem Aufsatz von G. (?) Landau beschrieben, der bereits auf einige archivalisch erhaltene Schriftstücke zurückgriff. Ziel der Genossenschaft war stets die Sicherstellung der Bewässerung und damit der Bewirtschaftung der Wiesen. Dazu wurden jeweils Oberste und Achter als Vorstände gewählt, ebenso ein Aueschütze, der das Kanalsystem und die Aue zu beaufsichtigen hatte. Arbeiten und Aufwendungen erfolgten stets gemeinschaftlich. Das Einwart hatte auch seine eigene Gerichtsbarkeit, konnte also selbst Strafen aussprechen und Verstöße sanktionieren. In napoleonischer Zeit (1809/10) und nach 1845 wurde dieses Recht erheblich eingeschränkt.
Darüber hinaus war die Aufgabenverteilung genau geregelt. Für Auslagen und Einnahmen gab es auch eine eigene Einwartskasse, die von den gewählten Obersten geführt wurde. In sie flossen nicht nur die Strafgelder, sondern auch eine Reihen von Gebühren und weiteren Geldern, beispielsweise für das Hüten von Vieh ohne eigenen Wiesenbesitz oder kleine Honorare für Einwartsmitglieder, die stellvertretend für andere die vierzehntägige Bewässerung durchführten und beaufsichtigten (das sog. Stopfgeld).
Übrigens war eine Sache besonders streng reguliert: Rauchen war sowohl bei den (häufig bei heißem Wetter durchgeführten) Wehr- und Erntearbeiten als auch bei den Zusammenkünften verboten. Schon das Erscheinen zu einem Einwarttreffen mit einer Tabakspfeife wurde bestraft. Getrunken wurde allerdings viel und gerne. Einerseits nach erfolgreicher Arbeit in den Wiesen: „Alles dieses“, zitiert Landau die historischen Akten, „geschähe gewöhnlich bei heißem Wetter und zur Erquickung gebe es nach vollbrachter Arbeit ein Gelag, in welchem jeder etwa ein Maas Bier erhalte.“ Andererseits nach allen Einwarttreffen: „Jeder Zusammenkunft folgt in der Regel ein Gelag.“ Es gab sogar – nicht völlig ernst gemeinte – Strafen für nicht regelkonformes Verhalten bei diesen Geselligkeiten. So heißt es bei Landau:
Wer sich überhaupt beim Gelage ungebührlich beträgt, namentlich, wer mit dem Deckel am Kruge klappert, oder wer mit dem Kruge auf den Tisch stößt, um dadurch ein Zeichen zu geben, daß derselbe wieder gefüllt werden solle, — 30 Kreuzer.
Landau: Das Wehreinwart im Amte Wetter. S. 172f.
Wer, um den Tisch abzuräumen, 2 Brandweinsgläser aneinander steckt, — 30 Kreuzer.
Wer das Kerbholz angreift oder die Kerbe zählt, — 30 Kreuzer.
Wer einem, der nicht zur Genossenschaft gehört und raucht oder auch nur eine Tabakspfeiffe sehen läßt, zutrinkt, — 20 Kreuzer.
Wer selbst raucht oder auch nur beim Eintritt eine Pfeiffe sichtbar werden läßt, — 20 Kreuzer.
Wer auf dem Heimgang Streit beginnt muß so viel bezahlen, als die ganze Zeche beträgt.
Der heute ungewöhnlich erscheinende Begriff des Einwart soll noch im späten 19. Jahrhundert ein in Oberhessen allgemein gebräuchlicher Ausdruck gewesen sein. Angeblich bezog er sich ursprünglich auf das Einwärtige/die Einwärtigen (im Gegensatz zu dem/den Auswärtigen) und konnte unterschiedlich verwendet werden. Er bezeichnete beispielsweise entweder 1. das Gemeinderecht bzw. die gemeinschaftlichen Rechte einer vor Ort ansässigen Gemeinde/Gemeinschaft, 2. einen räumlichen Gültigkeitsbereich (sprich: das (Gemeinde-)Gebiet, auf dem das Einwart-Recht galt), 3. die Gruppe der Berechtigten selbst, 4. ihre Versammlung oder 5. sogar ihren Versammlungsort. Ausgesprochen wurde der Begriff êwert. Nachweisbar sind auch Schreibweisen wie Einfahrt/Einfart. Alle Angaben nach dem ersten Band des „Idiotikons von Kurhessen“, 1883.
Das Wehreinwart in der Wetschafts-Aue besteht übrigens bis heute fort, trägt allerdings seit 1996 den Namen „Be- und Entwässerungsverband Göttingen“.
Literatur
- G. Landau: Das Wehreinwart im Amte Wetter. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 4 (1846), H. 3. S. 167-175.
- Rolf Gensen: Das Wehreinwart zwischen den Ortsteilen Lahntal-Großfelden, Lahntal-Sarnau, Lahntal-Göttingen und Wetter-Niederwetter. Ein kollektives technisches Kulturdenkmal zur Bewässerung der Auewiesen. In: Denkmalpflege und Kulturgeschichte (2000), H. 1. S. 55-57.
Eine Beschreibung des Wehreinwarts findet sich auch in Katharina Schweitzers „Geschichte und Beschreibung des Lahntal’s“ (1855).
Weiterlesen
- Digitalisat des Aufsatzes von G. Landau in der „Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde“ (s. Literatur) auf Google Books
- Digitalisat von Band 1 des „Idiotikons von Kurhessen“ aus dem Jahr 1883 auf Google Books, ausführliche Erläuterung des Begriffes Einwart hier auf S. 85f.
- Informationen zum Wehreinwart und Fotos der Wehre auf einer Seite zur Wetschafts-Aue und in der Dorfchronik Unterrosphes auf der Webseite unterrosphe.de
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