Einen spannenden Einblick in die Grundversorgung der Einwohner Kernbachs vor ungefähr 250 Jahren bietet das „Extract“ einer „Special Beschreibung von der Dorfschaft Kernbach“. Das nur wenige Seiten umfassende Dokument wird im Hessischen Staatsarchiv Marburg verwahrt und erfasst explizit „ritterschaftlich steuerbare“ – also besteuerbare – „Objekte“. Es ist leider nicht datiert, stammt jedoch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.
Die „Spezial Beschreibungen“ sind auch bekannt als Hessische Katastervorbeschreibungen und waren wichtiger Teil der sog. Lager-, Stück- und Steuerbücher. Sie beschreiben alle wesentlichen Merkmale einer Siedlung – von den Höfen und öffentlichen oder kirchlichen Einrichtungen, den Rechts- und Besitzverhältnissen, der Gewässer-, Acker-, Weide- und Waldnutzung, den Dienst- und Steuerpflichten der Bewohner bis hin zu Topographie oder Bodenschätzen. Die „Speziale Beschreibung“ Brungershausens aus dem Jahr 1767 beispielsweise ist vollständig abgedruckt in Reinhard Richsteins Dorfchronik.
Das „Extract“ geht dabei eben nur auf wirtschaftliche und steuerrechtliche Aspekte ein – vermittelt gerade dadurch jedoch einen Eindruck von der Grundversorgung und Landwirtschaft der Kernbacher Bevölkerung in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Deren Rechte zur Nutzung der natürlichen Ressourcen ihrer Umgebung waren allerdings begrenzt. So heißt es schon zu Beginn zum Fischereirecht:
Die Fischerey Gerechtigkeit alhier stehet überhaupt gnädigster Herrschaft zu.
Dasselbe galt für die „Hohe und Niedere Jagd“. Dagegen gab es einige der Gemeinde zur gemeinschaftlichen Nutzung überlassene Flächen und Gebäude, weit mehr übrigens als in Brungershausen. In Kernbach gehörten hierzu ein Hirtenhaus und ein (nicht bewohntes) Backhaus, daneben gab es steuerfrei nutzbare Wiesen-, Wald-, Weide- und Huteflächen. „Bau und Brennholtz“ bekämen „die Einwohner“ daher „aus ihrer eigenen Waldung.“ Im Wald fand auch die Schweinemast statt. Schafe durften die Einwohner Kernbachs so viele halten, wie sie wollten, mussten jedoch für 50 Schafe je einen Hammel abgeben, bei weniger als 50 Schafen wurde ein Albus – also ein Silbergroschen – Abgabe fällig. Vor Ort nicht vergeben war das Braurecht – „das benötige Bier“, so heißt es knapp, „muß zu Marburg geholt werden.“ Immerhin gab es eine dem „Besizer erb und eigentümlich zustehende Mühle“.
Neben dem „Zehenden“, also der an die jeweiligen Grundherren zu entrichtenden zehnprozentigen Steuer, hatte die Gemeinde jährlich Zinsen „in Geld Frucht [d.h. Getreide] und Federvieh“ zu entrichten – größtenteils noch an die Universität Gießen. Das „Extract“ ist also spätestens Anfang oder Mitte der 1760er Jahre entstanden.
Übrigens ist man über die Zahl der Einwohner Kernbachs und ihre Berufe in dieser Zeit einigermaßen informiert. Laut Eintrag im Hessischen Ortslexikon lebten hier 1748 insgesamt 118 Einwohner, darunter sind vier Schmiede, ein Wagner (also ein Stellmacher, Rad- oder Wagenmacher), ein Leineweber, ein Schneider, ein Müller, zwei Dachdecker, ein Wirt, ein Spielmann und ein Tagelöhner. Wie viele Familien in dieser Zeit ausschließlich von der Landwirtschaft leben, ist nicht bekannt.
Nachweis
Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM), Sign. HStAM, 49 d, Marburg 264, Ritterschaftlich steuerbare Objekte zu Kernbach
Weiterlesen
- Datenbankeintrag des Hessischen Staatsarchivs (Arcinsys)
- Wikipedia-Artikel zu den Hessischen Katastervorbeschreibungen des 18. Jahrhunderts
Selber lesen
Das „Extract“ gehört zu den Archivalien, die – wie viele weitere Bestände des Marburger Staatsarchivs – aus konservatorischen Gründen verfilmt worden sind und deren Sicherungsaufnahmen mittlerweile auch digitalisiert worden und somit online frei zugänglich sind: Hier können Sie sich die Akte selbst anschauen.